Lesen als Therapie
Frau B.* steht kurz vor Vollendung ihres 90. Lebensjahres. Nachdem ihr Mann vor 5 Jahren gestorben ist, blieb ihr aus gesundheitlichen Gründen keine andere Wahl als der Umzug in das AWO Seniorenzentrum Bergheim-Kenten. Eine böse Arthritis quält sie so sehr, dass sie das Bett nur noch zu Essenszeiten gegen einen Rollstuhl tauschen kann. Trotzdem kommt kein Wort der Klage über ihre Lippen. Aber noch ein weiterer Grund macht sie zum Vorbild: Sie ist die älteste, aber auch eifrigste Leserin in unserem Bücherschrankprojekt.
Seit November 2011 hat sie bereits 100 Bücher ausgeliehen und gelesen. Für Frau B. ist Lesen offenbar ständige Geistesnahrung und lebensnotwendige Therapie. Dabei ist ihre Sehfähigkeit seit frühester Jugend sehr eingeschränkt. Das ist auch die Ursache dafür, dass sie ihren beruflichen Traum nicht verwirklichen konnte. Gerne hätte sie die Koloniale Frauenschule besucht und sich auf die Arbeit in den Kolonien vorbereitet. Für diese Aufgabe wurde sie aufgrund der Augenerkrankung abgelehnt. Später versuchte sie sich im Beruf der Imkerin in einem vorbildlich geführten Betrieb in Neu Käbelich/Mecklenburg Vorpommern. Die Arbeit im Freien gefiel ihr und es machte ihr große Freude, die Bienenvölker zu beobachten. Doch auch dieser Berufswunsch erfüllte sich nicht, denn sie musste die Ausbildung abbrechen.
Gelesen hat Frau B. allerdings so lange sie denken kann. Ihre älteren Geschwister waren ihr dabei ein Vorbild und ihr Vater besaß eine große Bücherwand. Gerne erinnert sie sich an Buchtitel wie Ich radle um die Welt, Von Düsseldorf bis Burma von Heinz Helfgen oder 7 Jahre in Tibet. Mein Leben am Hof des Dalai Lama von Heinrich Harrer. Gefragt nach ihrem absoluten Lieblingsbuch nennt sie Die unsichtbare Flagge von Peter Bamm.
Das Lesevergnügen aus dem Annemie Herberz Bücherschrank ermöglicht ihr Ena Farfsing aus Süd-West vom ehrenamtlichen Besuchs- und Begleitdienst, der wir an dieser Stelle für ihren Einsatz unsere Bewunderung aussprechen möchten.
Für den SüdWestWind
Ursula Schlößer
* Name ist der Redaktion bekannt