Gute Noten für die Jugend
Sokrates über Jugend: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Man ist geneigt, zuzustimmen, obwohl es umstritten ist, ob diese Aussagen tatsächlich von Sokrates stammen. Wer auch immer in alten Zeiten diese Beobachtungen machte, sie stehen im krassen Widerspruch zu den Thesen von Journalist Klaus Farin (auch Publizist und Verleger), der die Aufgabe hatte, das Eröffnungsreferat vor 160 Teilnehmern sowie den Mitarbeitern und Referenten im Kerpener Rathaus zu halten. „Die Jugend von heute“ – behauptete er – „ist die bravste seit 70 Jahren!“
Seine Recherchen bezogen sich auf die aufmüpfigen Jugendlichen der 68-er 70-er und 80-er Jahren usw. Unvergessen der Slogan ‚Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren‘, um nur ein Beispiel zu nennen. Farin behauptete, der Jugendschutz gerate immer mehr in Konflikt, und der Freiraum der Jugendlichen werde immer weiter eingeschränkt. Es gäbe kaum einen Platz für Jugendliche, der nicht entweder mit einer Schulung oder geführtem Spiel aufgesucht werden müsste. Jugendlichen gegenüber herrsche eine extreme Misstrauenskultur. Man traut ihnen alles zu, nur nichts Gutes. Immer würde gleich nach der Polizei gerufen. Farin sagt: „Man spricht nicht mehr mit den Jugendlichen.“ Früher konnten Jugendliche sich sichtbar abgrenzen und ihre Zugehörigkeit durch äußere Zeichen verdeutlichen. Man denke da an Jugendkulturen wie Punks, Skins, Hooligans, Gammler, Hippies, Gothics, Hip Hopper, Emos, etc. Heute seien die Übergänge verwischt, denn es sei durchaus üblich vier bis fünf Mal die Szene zu wechseln. Außerdem sind nur ca. 20 % der Jugendlichen in Jugendkulturen vertreten. Jedoch 70 % orientieren sich an Jugendkulturen. Generell ließe sich sagen, die Jugend sei brav und nicht rebellisch. Nur noch 12 % der Jugendlichen rauchen. In Österreich und in der Türkei sind es immerhin 51%, die diesem Laster frönen.
Farin hat ermittelt, dass die Jugendgewalt bundesweit abnimmt. Auch auf sexuellem Gebiet habe eine Kehrtwende stattgefunden. Aus der Generation Porno sei die Generation Prüde geworden. Innerhalb der Jugendkulturen suchen und finden die Jugendlichen Beziehungsnetzwerke, den Freiraum, sich abzugrenzen und Toleranz, alles Dinge, die beispielsweise tradierte hierarchische Vereine nicht bieten können. Positiv über die Anhänger der Jugendkulturen nach Farin ist zu sagen, dass ihr politisches Interesse gesteigert ist und dass sie weitaus geneigter und geeigneter für ein soziales Engagement sind, denn sie seien durchweg leidenschaftlich und kreativ.
Nach dieser positiven Einstimmung ging man in eine der 10 Arbeitsgemeinschaften, mit folgenden Themen:
- Schwierige Schüler- und Elterngespräche
- Jugendkulturen
- Die extreme Rechte im Rhein-Erft-Kreis
- Gewaltbereiter Salafismus
- Digitale Quartierserkundung
- ‚Wenn Finn kifft‘ – Cannabisprävention
- Digitalisierung in der Jugendarbeit
- Wertedialog in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen
- Exzessive Medien- und pathologische Computernutzung
- Sexuelle & geschlechtliche Vielfalt
Leider konnte man nur an einer AG teilnehmen, da diese jeweils sehr ausführlich und kompetent mit einem Zeitaufwand von drei Stunden durchgeführt wurden.
Die Unterzeichnerin hatte sich für das Seminar zum Salafismus der AWO, Projekt WEGWEISER Köln, entschieden. Referentin war die Islamwissenschaftlerin Fatiha Ait Jillali, die ihre Unterweisung mit dem Film Radikal begann.
Der Film zeigt einen Jugendlichen in einer Patchwork-Familie, der in einem Brennpunkt-Viertel beheimatet und allen Widrigkeiten, wie Armut, Gewalt, Perspektivlosigkeit und Missachtung durch sein komplettes Umfeld ausgesetzt ist und damit den absoluten Nährboden für die Verführungen des Salafismus als Jugendkultur bietet. Hier wird dem Jugendlichen mittels Erstkontakt per whatsapp und später durch einen Mentor suggeriert, dass er vom Nobody zum Mitglied einer Elite werden kann, die die Welt neugestaltet. Bei Mädchen und Frauen wird die Abkehr von jeder Karriere gepredigt. Nur Muttersein ist wichtig. Durch das Befolgen der Regeln ist man dann rein, beschützt und erhaben. Das Ganze versteht man unter Postfeminismus. Ausführliche Inhalte der Arbeitsgemeinschaften sind demnächst auf der Homepage der Stadt Kerpen einzusehen.
Insgesamt kann man den Referenten, Organisatoren und Mitarbeitern der interkommunalen Jugendämter sowie der Stadt Kerpen ein großes Lob für eine gelungene Veranstaltung aussprechen.
Für den SüdWestWind
Ursula Schlößer